HipHop (Credit für LE MONDE DE DEMAIN)

Themenspecial: HipHop & Serie

Gleich in mehrfacher Weise drängt das Thema HipHop ins serielle Erzählen und findet sich in zahlreichen Serien des diesjährigen Festivalprogramms wieder. Hier ein kleiner Überblick zu dem thematischem Fokus 2022!

In den Sichtungsrunden des Seriencamp Festivals wühlen wir uns durch hunderte Serien aus der gesamten Welt. Dabei fallen uns im Programm-Team immer wieder Trends auf, die sich mal global, mal regional abbilden. Einer der bemerkenswertesten Meta-Themen des Jahres zeigt sich daran, wie sich HipHop-Kultur auf verschiedenen Arten mit seriellem Erzählen verbindet – als innovatives erzählerisches Werkzeug wie in Jungle, Mood, I am  Earth und Hype, als musikhistorische Zeitreise wie in Die Welt von Morgen (Le Monde De Demain) oder als Momentaufnahme der Szene zwischen Straße (Dia De Gallos) und Hitparade (Rap Sh!t).

Bereits 2021 kündigte WDR Cosmo an, dass der Radiosender mit Hype ein Rap-Musical produzierte, das seinen Protagonist*innen durch den Alltag in Köln-Porz folgt. Die Idee sowohl Rap als auch Tanz als erzählerisches Mittel zu nutzen und klassische Musical-Elemente zeitgemäß anzupassen, war interessanterweise auch anderswo anzutreffen.  

Rap als Blick in Gefühls- und Gedankenwelten

Die hochtalentierte Autorin, Sängerin und Darstellerin Nicôle Lecky nutzt diese Mittel in Mood beispielsweise gekonnt aus, um Einblick in die Gefühlswelt ihrer emotional zerrissenen Figur zu geben. Basierend auf dem Ein-Personen-Stück Superhoe entwickelte Lecky die Geschichte einer jungen Musikerin, die zwischen Social Media-Druck und Karrierehoffnungen den feinen Grat zwischen Selbstermächtigung und Selbstausbeutung balanciert. Freizügigkeit als Karrierewerkzeug, Musik und Tanz als Erzählmittel – Mood ist eine der stilsichersten Serien des Jahres

Ähnlich, wenn auch sehr viel enger in die Handlung verwoben, fokussiert sich die norwegische Serie I am Earth auf Rap Ausdrucksmittel: Protagonistin Odile sucht zwischen anstehendem Coming Out, familiären Zwängen und gesellschaftlichem Druck ihre Identität. Die Raps, die sie im Studio mit ihrem Freund und Produzenten aufnimmt, werden zum Ventil des Druckkessels ihrer Emotionen und zum Fenster in die Seele. Autorin und Hauptdarstellerin Amy Black Ndiaye, inspiriert von der Rap-Szene des norwegischen Bergen, brachte sich für die Serie selbst das Rappen bei, HipHop-Produzent Lars Vaular coachte sie entsprechend.  

Subkultur als Kulisse, Authentizität als Anspruch

In der argentinischen HBOmax-Serie Dias De Gallos, die in der Battlerap-Szene von Buenos Aires spielt, spiegeln sich die großen Einschnitte in den Alltag der Protagonist*innen in knackigen Video-Clip-Sequenzen, während die Freestyle-Wettbewerbe selbst von ungeschliffenen Freestyle-Einlagen punktiert werden. Verspielte Musical-Elemente und der authentisch gedachte Blick in die Szene ergeben eine interessante Mischform. Die Subkultur des Battlerap dabei als exotische Kulisse mit eigenen Regeln und Eigenheiten zu nutzen, fand jedoch nicht nur Anklang. Obwohl zahlreiche Rapper mit Gastauftritten vertreten sind und die mit Angela Torres und Ekko zwei der Hauptdarstellenden beste musikalische Credentials aufweisen können, gab es kritische Stimmen.

Keine Sorgen, um Authentizität muss sich Jungle machen: Das Prime Video-Original geht hier vollauf in Richtung opulentem Rap-Musical samt zahlreichen Gastauftritten bekannter Künstler*innen. Die beiden Produzenten und Regisseure Chad Appeti und Junior Okoli, die in der Vergangenheit mit Dutzenden Rap-Artists für Videoclips zusammenarbeiteten, inszenieren ihre Serie als visuell überbordenden Trip durch Londons gesellschaftliche Ränder. Die Handlung wird immer wieder in Versform verpackt, in Ästhetik, Schnitt und visueller Gestaltung sprengt Jungle als bombastisches Rap-Musical der XXL-Sorte die Leinwand.

TikTok-Dances und Karaoke als Medienalltag

Dass es hierfür nicht immer ein Millionenbudget braucht und sich die erzählerischen Kniffe des Musicals auch mit kleinen Budgets umsetzen lassen, zeigt die kanadische Kurzformserie Home Turf: Sisterhood. Gleich zu Beginn spiegelt eine kleine Musical-Sequenz die unbändige Energie und den Tatendrang der jungen Heldinnen wieder. Auch hier zeigt sich:  Seit TikTok-Dances und Karaoke-Funktionen von Social Media-Plattformen uns ständig umspülen, sind Rap und Tanz nahtlos in unseren medialen Alltag eingebunden.

Einen gänzlich anderen Weg schlägt die Serie Rap Sh!t von Autorin Issa Rae ein. Die Macherin des Serienhits Insecure wagt sich in den Kosmos des US-Hiphop vor, um ihren beiden Protagonistinnen Shawna (Aida Osman) und Mia (Rapperin KaMillion) bei ihrem steilen Aufstieg vom Social Media-Viralhit in die Höhen des Musikgeschäfts zu folgen. Nicht einfach, denn in Zeiten von Instagram-Fame und OnlyFans-Infamy, von Streaming-Hits und Spotify-Charts, hat sich das Bild der Branche und der Rap-Kultur grundlegend verändert. Zwischen den unterschiedlichen Philosophien seiner beiden Heldinnen – intellektueller, aber unerfolgreicher „conscious rap“ auf der einen Seite,  sex & body positive-Rap einer Lizzo und Megan Thee Stallion auf der anderen – gelingt Rap Sh!t eine kluge Bestandsaufnahme des Female Rap im Jahr 2022.

Musikgeschichte

Bereits zu Beginn des Jahres führte uns die Serie Almost Fly zurück zu den Anfängen des HipHop in Europa: Eine Gruppe Teenager entdeckt Rap und importiert die Ausdrucksformen umgehend in die deutsche Provinz. Die Arte-Serie Die Welt von Morgen wagt ähnlich musikhistorische Zeitreise. Basierend auf Anekdoten und Erzählungen entführt die Serie in das Frankreich der späten achtziger Jahre und entlässt uns in die Welt der jungen Held*innen, die in der HipHop-Kultur zwischen Graffiti und B-Boying, zwischen Rap und DJing ihre Heimat finden. Mit viel Charme und genauem Gespür für die elektrisierende Energie der neuen Musikrichtung, entfaltet sich Die Welt von Morgen als Momentaufnahme des Urknalls des HipHop in Frankreich. Dass die wortgewaltige Ausdrucksform des Rap über den Umweg der oralen Geschichte sich hier als Serie niederschlägt, schließt den Kreis: Man ist nahe dran, wenn das musikhistorische Fundament des globalen Rap-Booms  gegossen wird.