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Recap: Seriencamp Conference 2025

Ein Rückblick auf Seriencamp Conference 2025 – Gastautor Jan Freitag fasst die wichtigsten Momente zusammen.

Etwas zu umarmen, ist ein zärtlicher Akt voller Wärme und Zuneigung. Eigentlich. Denn was die geladenen Fachleute beim Seriencamp auf der Bühne des CINENOVA „embracen“, wie es in der Panelsprache Englisch heißt, wirkt oft kühl, ja abweisend. Johanna Koljonen umarmt das „Scheitern“, Marianne Furevold-Boland zum Beispiel umarmt „Herausforderungen“, Andri Ómarsson „Zwänge“, Claudia Blümhuber die „Angst“. Und Maria Valenzuela würde gar künstliche Intelligenz liebkosen – für viele der fast 900 Konferenz-Besucher:innen irgendwo zwischen Lepra und Lord Voldemort.

Wer all dies nicht nur akzeptiert, sondern verinnerlicht, erweist sich als stressresilient genug fürs Motto des 11. Seriencamps: Innovation in a Disrupted Industry. Angesichts wirtschaftlicher, politischer, sozialer, kultureller Umbrüche, wenn nicht gar Revolutionen, bedarf die Serienszene dringend frischer Konzepte, um kreativem Content auch ohne Global Player im Rücken Geld, Ressourcen, Aufmerksamkeit zu verschaffen. Und im räudig schönen Stadtteil Ehrenfeld stehen drei davon im Zentrum: Selbstvermarktung, Koproduktionen, Gaming.

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In ihrer Keynote zum ersten Punkt gibt Bianka Bunde, Social Media Manager ZDFneo, fünf Ratschläge, damit sich Serien im Chaos wachsender Konkurrenz behaupten: Visuell klare, emotional fesselnde, inhaltlich dialog-lastige Stories im Rahmen geltender Plattformregeln. Digitale Distribution von Beginn an mitdenken. Organische statt pragmatischer Einbindung sozialer Medien. Gezielte Buzzword, Hashtags, Trigger setzen. Und ganz wichtig: Flexibilität. Denn Distribution, sagt Bunde, „ist ein dynamischer Prozess“.

Schließlich könne sich die Aufmerksamkeit für Themen und deren Tonfall, Produktionen und deren Personal jederzeit ändern. Ihr Tipp: „Mach rechtzeitig Pläne und sei bereit, sie zu ändern.“ Da kann Samya Hafsaoui nur zustimmen. Beim Auftaktpanel Marketing Your Series: How to cut through the Clutter & Find Your Audience hat die Autorin, Journalistin, Moderatorin auch im Namen ihrer 170.000 Follower noch einen Rat zur richtigen Eigen-PR: „Sei dein eigener Influencer und kommuniziere schon im kreativen Prozess.“ Allerdings nicht mit Influencern, die gekauft, statt überzeugt sind. „Dafür ist dein Publikum zu smart.“

Um das allein nämlich gehe es, betont Marianne Furevold-Boland in ihrer Funktion als Head of Drama des norwegischen Rundfunks NRK bei der Podiumsdiskussion What is True Innovation. „Deshalb darf man das Werben um User auch nicht als etwas Böses begreifen“. Es ist eine Dienstleistung. Solch eine erwartet die französische Showrunnerin Noémie Saglio auch von denen, die am Ende über alles entscheiden: „Seid kreative Producer“, fordert sie am Mittwoch im rappelvollen Kino 1 unterm Titel More Creative Control vor Talent. Und vor allem: „Lernt lesen!“

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Dass unkreative Producer Saglios Drehbücher nicht kennen, sorgt bei der Abschlussveranstaltung zum Selbstvermarktungsteil zwar für Gelächter im Saal. Die Heiterkeit ändert aber wenig am Ernst der Lage. Er zeigt sich nicht nur im Nostradamus Report 2025 vom Göteborg Festival, den die Media Analystin Johanna Koljonen mit Myriaden globaler Katastrophen garniert; als sie per Video fragt, wie man im Angesicht von Gaza-Krieg oder Donald Trump noch „Massenunterhaltung machen kann, ohne unsere Werte zu verraten“, wird die Stimmung kurz mal gedämpfter.

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Insgesamt aber herrscht in Köln trotziger Optimismus, den niemand hier heiterer verkörpert als Noémie Saglio: „Sparen ist nervig, aber auch herausfordernd und damit Spaß.“ Zumindest, sofern Kreative „das Recht kennen“, also „Hoheit über ihren Output erlangen“, wie die französische Anwältin Elsa Huisman zum Thema Empowering Creatives empfiehlt. Sofern Europa „noch enger zusammenrückt“, wie es sich der spanische Produzent Anxo Rodriguez an gleicher Stelle wünscht. Oder sofern der Kontinent „lokal denkt, aber global handelt“ und sein „Momentum nutzt, dass weniger Geld aus Amerika kommt“, wie der neue Head of Scripted Banijay Entertainment Johannes Jensen in einem Fireside Chat mit Jesse Whittock anregt.

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Und natürlich, falls der zweite Kernbereich des Seriencamps genutzt wird: (inter)nationale Koproduktionen. Die seien „nicht automatisch besser“, leitet Irina Ignatiew-Lemke das Auftaktpanel Realities of Co-Production ein. „Aber abgesehen vom Geld ist das Feedback anderer Perspektiven über den lokalen Tellerrand hinaus Gold wert“, ergänzt Fleur Winters (Big Blue), die als Creative und Producer das perfekte Rolemodel für Noémie Saglio abgäbe. Und das gilt auch für Andri Ómarsson auf demselben Podium, den die Größe seiner Heimat dazu zwingt, „agil und flexibel zu sein“. Ein kleiner Markt wie Island, fügt er hinzu, „ist auf internationale Koproduktionen angewiesen“.

Ein riesiger allerdings auch. Das erfährt man von Al Munteanu (BriskPace) beim Producers Vision Pitch, wo Hersteller wie er mal umgekehrt um Kreative werben. Serienprojekte wie „German Angst“ zum Beispiel würden „Deutschland als Heimat, aber die Welt als Markt“ begreifen. Und darauf mischt buchstäblich noch ein Player mit: die Gaming-Industrie. Spätestens seit „Last of Us“ und „Fallout“ gelten Computerspiele als nährstoffreiche Böden zugkräftiger Serien.

Schon jetzt sind gecodete IP kommerziell oft erfolgreicher als gedrehte. 2024, rechnet David Daubitz (Ubisoft) in seiner Keynote Synergies for Games & Series vor, hat die weltweit 3,42 Milliarden User durchschnittlich 50 Dollar pro Kopf erwirtschaften. Und das beruhe auf fünf Beobachtungen: Die Rückkehr von der Komplexität zur Einfachheit. Die Serienartigkeit von Spielen. Das emotionale Investment charaktergetriebenen Writings. World-Building vor Storytelling. Und das Mischen verschiedener Genres. Alles Faktoren, die auch Serien erfolgreich machen. Sofern man es richtig macht.

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Denn „einfaches Adaptieren reicht nicht“, sagt Pierre Puget (Brains Narrative Studios) beim Networking Breakfast Donnerstag früh im Rondell Herbrands. Um die Sogwirkung guter Games zu erreichen, müsse man „wie sie immersive Welten erschaffen“. Umgekehrt gelte für Games, das Potenzial serieller Zweitvermarktung bereits in der Entstehung mitzudenken. „Es geht nicht um Wettbewerb beider Sphären, sondern die beste Story“. Und damit wäre auch das Seriencamp 2025 umschrieben, auf dem fast 160 Fachleute zahlloser Studios, Gewerke, Sender, Plattformen miteinander und dem Publikum darüber diskutieren, was wirklich allen durch die schwere See der Branche hilft.

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Mit Serien von „Mozart/Mozart“ über „We Come in Peace“ bis „Ku’damm 77“, deren Work in Progress hier hautnah zu erleben ist. Mit Serien wie „Softies“ und „Chabos“, „Kyllroth“ oder „Reykjavik Fusion“, „Love Scam“ und „Underdogs“, die vor meist ausverkauftem Saal Premiere haben. Gemeinsam zeigen Konferenz und Kinoprogramm, dass der Kampf um relevante Unterhaltung erst begonnen hat. Der Autor, Regisseur, Produzent und Showrunner Philipp Käßbohrer bringt es bei der Entgegennahme des Deadline German TV Disruptor Award auf den Punkt: „Lasst uns in den Strom der Veränderung springen.“ Die Seriencamp Conference ist einer der Sprungtürme.