Walking Dead

Gefräßige Zombie-Chiffren

Medienwissenschaftler sezieren The Walking Dead

Wohin man blickt, fressen sich Zombies unaufhaltsam durch die Medienkultur. Ein Dresdner-Workshop mit dem Titel „Nicht tot zu kriegen - The Walking Dead und die Hölle der Serialität“ begab sich angenehm unerschrocken auf Spurensuche.  

Was könnte nach einer Zombie-Apokalypse bleiben? Der Zombie überlebt uns schließlich alle. Auch akademisch, wie es scheint. Speziell geisteswissenschaftlich wird mittlerweile fast alles genau unter die Lupe genommen. Comics, Games und Serien genauso wie Bücher, Filme oder Video. Seit nun schon einigen Jahren erlebt speziell die (TV-) Serie ein reges Revival in universitären Seminarräumen und in den Publikationsverzeichnissen akademischer Fachverlage. Was bereits in den 80er und frühen 90er Jahren mit Klassikern wie David Lynchs Evergreen Twin Peaks oder Michael Manns poppigem Cop-Scharmützel Miami Vice zunächst einen Denker alter Kulturschule wie Adorno um den Verstand gebracht hätte, treibt nunmehr zahlreiche findige Wissenschaftler an, die nicht mehr an Themen wie HBO, Netflix und dem ganzen Wildwuchs gegenwärtiger Serialität vorbeikommen. Alles eine Frage der Haltung. Auch beim Thema Zombie, der sich ebenso einer konstanten Anwesenheit in der Popkultur erfreut, obwohl er weder sexy oder trendy daherkommt und mit seinem Kurzzeitgedächtnis in einer meist gigantisch anschwellenden Konsum- bzw. Fressgemeinschaft nicht dem viel geliebten Narrativ eines Individuums entspricht, das sich Gesellschaften gerne als Gute-Nacht-Geschichte zur Nobilitierung des eigenen Weltentwurfs erzählen.

(Eine) Haltung bewahren

Welche Haltung nimmt man also gegenüber einer populärkulturell so umtriebigen Gestalt der Zuschreibungsvielfalt ein, obwohl sich Zombies gerade durch einen Mangel an Haltung - oder zumindest einer Grazilität in ihren „Posen“ - auszeichnen? The Walking Dead (Staffeln 1 bis 5 auch bei Amazon erhältlich) fordert nun schon seit mehreren TV-Seasons (und die Comic-Vorlage ungleich länger) von Fans wie Kritikern eine oft sehr variable Positionierung ein, was Fragen menschlicher Moral, Gerechtigkeit, Überleben und damit einer Vorstellung von Kultur und Sozialität betrifft. Es geht eben nicht nur darum, welche Figur als nächstes einen mehr oder minder brutalen Tod erleidet, sondern welches mögliche Leitbild oder welche mit einer Figur verknüpfte Ideologie erst zu Grabe getragen wird, um dann doch eine untote Wiederauferstehung zu zelebrieren. Die Zombies fressen sich in The Walking Dead durch die Hoffnungen einer zerfallenen Welt und insistieren als die Störung einer Gesellschaftsordnung, die im Verlauf der Serie aus den Menschen zombieske Gestalten formt, die sich immer wieder mit der Frage konfrontiert sehen, wo der Zombie in ihnen selbst beginnt und wo er vielleicht schon längst immer da war. Das mag man nach all den Jahren, den bisweilen aufdringlich zirkulären Redundanzen der Serie mit ihren wiederkehrenden, nie beständigen Schutzräumen vielleicht auch nicht mehr mit der Spannung verfolgen, wie noch in den ersten Staffeln.

Ansprechende Schwarm(un)intelligenzen

Dennoch bleibt ein Faktum unbestritten und mit einer gewissen Emphase verteidigt: The Walking Dead war in jedem Fall und egal, was da noch kommen oder nicht mehr kommen mag, eine der wichtigsten Serien ihrer Generation, da sie Meinungen und kritische Auseinandersetzungen mit sich und den von ihr aufgerufenen Kontexten provozierte. Egal, ob man es nun ermüdend finden mag, sich noch die Frage zu stellen, ob der Verlust einer Figur wie Daryl, Rick, Michonne oder Mitglied XYZ im Transitraum ABC der Serie wirklich noch einmal wirklich relevante Impulse jenseits einer unter der radikalen Oberfläche auch als zombiefizierte Soap-Opera zwischen Liebe, Verlust, Versagen und Hoffnung lesbaren Dramaturgie geben könnte: Robert Kirkmans Universum ist ein Stück Seriengeschichte mit viel Gravität. Genau darum muss es in einer Auseinandersetzung mit Kirkmans Kreation gehen, nämlich das Faktum einer mit ihr immer stärker angeschwollenen Kultur der Auseinandersetzung mit Serien. Ähnlich wie bei vergleichbar massentauglichen Großprojekten wie Game of Thrones oder zuvor Lost ist es aber vor allem die Einbindung ganz verschiedener Zuschauergruppen, die sich selbst von den dramaturgischen und thematischen (Un-) Tiefen einer Zombie-Serie vereinen lassen.

Noch vor einigen Jahren hätte ein sich selbst als „normaler Durchschnittskonsument“ bezeichnender Serienkucker wahrscheinlich gar nicht damit gerechnet, sich allwöchentlich oder im besten Binge-Modus einem dermaßen brutalen Genuss hinzugeben. Nicht schlecht für eine Prime-Time-Serie, in der weder die in ihrer Gefräßigkeit ohne jeden Funken Humanismus dahintorkelnden Untoten noch ihr (potenzielles) Futter langfristig eine stabile Haltung bewahren können, um zu überleben. Zombies machen es einem paradoxerweise trotz einer vermeintlich recht simplen Beschreibung ihrer Eigenschaften nicht leichter als andere untote Attraktionen wie Vampire oder Geister, ihre Faszinationskraft zu erfassen.

Am Hirntot setzt viel Denken an

In einem gut besuchten, wenn auch für den Anlass fast zu beschaulich kleinen Vortragsraum an der TU Dresden konnte man nun Ende Mai zwei Tage lang beobachten, wie ein ausgewählter Zirkel an Medienwissenschaftlern den Versuch unternahm, eine eigene Haltung oder besser: verschiedene Haltungen gegenüber dem Zombie lebhaft auf die Probe zu stellen. Der schon länger etablierte Fernsehforschungskreis Weiter Sehen lud unter der Federführung von Germanistik- und Medienprofessor Lars Koch neben lokalen Forschern auch serienwissenschaftlich einschlägige Gäste wie Ivo Ritzer oder Michaela Wünsch ein, um dem Zombie auf die Zähne zu fühlen. Soviel ist schon nach den ersten Einführungen in das Thema des Workshops klar: Zombies faszinieren weit über den zeitgenössischen Hype um The Walking Dead hinaus. Nicht nur aufgrund der Motive, Semantiken und Referenzen, welche den Zombie als Figur interessant machen, sondern vor allem aufgrund seiner nahezu universellen Anpassungsfähigkeit als multikulturelle Chiffre, die in den letzten zwei Jahrhunderten ebenso populär wie kulturkritisch funktionierte wie heute. In der angenehm vielschichtig aufbereiteten Themeneinführung der Tagungsorganisatoren Tanja Prokic und Daniel Eschkötter wird aufgezeigt, wie der Zombie aufgrund seiner kaum möglichen Zuordnung zwischen Leben/Tod, Subjekt/Objekt oder Mensch/Nicht-Mensch immer wieder gesellschaftliche Normen provoziert und damit über alle moderneren Medien der letzten Dekaden subversive bis plakative Fiktionen und Erzählungen belebt. Welch ein Werdegang, möchte man feststellen: Aus den gruftigen Untiefen des karibischen Aberglaubens ging der Zombi (ursprünglich ohne “e”) auf Medienreise und wurde zur Projektionsfigur für allerhand Gender-Trouble, Postkolonialismus,  Konsumkritik und sogar zum Zankapfel in der theoretisch hochinteressanten Frage, wie tot oder untot Medien wie der Film oder das Fernsehen selbst sind, die sich doch des Zombies (im Lauf der Jahre dann mit “e”) so gerne bemächtigen und ihn immer wieder in ihren Stories wiederbeleben.

Fast alle Vorträge suchen daher konsequent nach Referenzen und Schnittstellen innerhalb des Zombie-Motivs, das über die Jahrzehnte vor allem filmisch ein eigenes Archiv mit eigenen Genretraditionen entwickelt hat, die dann mal in diese oder jene Richtung ausschlagen. So arbeitet etwa Ivo Ritzer in seiner eher filmhistorisch motivierten Bestandsaufnahme des Zombie-Motivs heraus, wie sich Vorstellungen des Zombiehaften in rassistischen und kolonialen Darstellungen von Macht niederschlagen. Wo immer beispielsweise undifferenzierte Massen wie die somalische Bevölkerung in Ridley Scotts Kriegsdrama Black Hawk Down oder die kambodschanischen Dschungel-Bewohner in Francis Ford Coppolas Apocalypse Now! auftreten, werden Unterschiede zwischen den in diesem Fall (weißen) Individuen und der (schwarzen) Masse akzentuiert. Naiver Patriotismus bekommt so speziell in Black Hawk Down einen zusätzlichen, äußerst fragwürdigen Anstrich, der sich allerdings nicht nur in Verbindung mit Zombies und Zombifizierungen beobachten lässt. Wie nicht nur Ritzer betont, sind Tendenzen der Vermassung offenbar motivisch eng verknüpft mit einer Verrohung der jeweiligen Gruppierung. Wie mehrere Vorträge betonen, lassen sich ideologische Grenzziehungen wie die zwischen (heroischem) Individuum und (bestialischer) Masse ebenso auf der Ebene der Familie, der Nation oder auch der Geschlechterordnung wiederfinden.

Kein Held, nirgends

In diesem Zusammenhang sind vor allem die Analysen zum Western-Genre aufschlussreich, das als starke Bezugsfolie für The Walking Dead fungiert. Kirkmans Werk ist durchsetzt von Referenzen, vermeidet aber konsequent die Tendenz, eine Aufbruchserzählung im Sinne der Geburt einer neuen Nation zu erzählen, wie es viele klassische Western letztlich verfolgen. Sein Ansatz folgt eher dem einer schwarzen Western-Dystopie, in der etwa die Zuggleise, die im Western meistens eine Modernisierung und damit auch Stabilisierung einer kapitalistischen Ordnung symbolisieren, für die Figuren der Serie etwa in der 5. Staffel nach Terminus führen. Einen Ort, der mit seinen menschlichen Kannibalen einen ökonomisch organisierten Inhumanismus vorlebt und daher als “modernes” Konzentrationslager den Nullpunkt jeder Hoffnung auf Rettung markiert. Überhaupt spielt das Thema Hoffnung und Hoffnungsverlust eine große Rolle, wie vor allem Christian Schwarke mit seiner religionswissenschaftlichen Interpretation von The Walking Dead ebenso nahelegt wie Svenja Taubner aus psychoanalytischer Sicht. Als zeitgenössische Fiktion einer Postapokalypse besinnt sich auch Kirkmans Serie auf gleich mehrere biblische Traditionen, die sich mit der in vielen Texten und Filmen nach dem 11. September 2001 zentral thematisierten Paranoia und der Angst vor dem Zerfall des bestehenden Wertesystems ohne eine klare Perspektive vermischt. Rick Grimes mag sich beispielsweise in The Walking Dead nur auf den ersten irreführenden Blick als eine Art Moses deuten lassen, der sein Volk in eine neue Zukunft führt. Es regiert schließlich die Stummheit Gottes, die aus den brennenden Büschen nur weitere Zombies kriechen lässt. So ist es eben letztlich auch kein Zufall, dass nahezu jede Figur der Serie das Zeitliche segnet, die religionsmotivisch für einen humanistischen Neuanfang nach der Apokalypse stehen könnte. Gibt es also überhaupt einen Zustand des “Post” in The Walking Dead? Auf die Antwort müssen wir wohl alle noch warten.

Was einen Menschen im Kern definiert, führt in The Walking Dead zu der Frage nach den Möglichkeiten altruistischen Verhaltens und den Formen des politischen Zusammenlebens, die in den verschiedenen Staffeln durchgespielt werden. Anja Besand und Mark Arenhövel arbeiten in ihren Beiträgen jeweils heraus, wie die Serie fast schon als Lehrbuch für die Einführung in die Geschichte politischer Systeme dienen kann und wie stark die Grenzen der eigenen Identität politisch aufgeladen und ideologisch (oft sehr unterschwellig) untermauert werden.  Die (Un-)Toten bringen schon mit ihren Bewegungen, Geräuschen und Verhaltensweisen ganz eigene Bilder, Sounds und Beziehungsmuster hervor, wie sie die meist recht schicken Vampirchen in Kuschelserien wie Vampire Diaries qua Motivtradition kaum hergeben können. Daher kann ein Kinofilm wie Warm Bodies auch in seiner Form als romantische Zombiekomödie zunächst ähnlich irritieren wie auf ihre Art die jede Lebensgrenze überdauernde Kumpanei zwischen zwei Freunden in der britischen Genresatire Shaun of  the Dead. Wie die Tagung herausarbeitet, bedroht der Zombie jede Form der Abgrenzung und generell der Grenzziehung, die sich speziell in The Walking Dead schon mithilfe der vielen Zäune, Gefängnisse und Mauern permanent selbst veranschaulicht. Dadurch, dass Zombies mit ihrer tödlichen Fresserei ohne Möglichkeit der Kommunikation und der Verhandlung dauernd Ordnungen und Systeme jeder Art stören, lassen sich gerade an einer zeitgenössischen Serie wie The Walking Dead politische sowie psychosoziale Systeme, Narrative wie der amerikanische Western oder Konstruktionen des Fremden und Eigenen dekonstruieren. Außerdem können aktuelle Tendenzen unserer seriellen Kultur in den Blick genommen werden, da sich die aufgeworfenen Themen und Fragestellungen in neueren Medien wie den Computerspielen zur Serie munter weiter reproduzieren und wiederum auch ganz eigene Problemfelder aufmachen.

Eine Chiffre, die infiziert

Was kann nach zwei diskussionsfreudigen Tagen bleiben? Sicher kein Abschluss, denn die Fülle an Theorien und Beispielen bewies, dass der Zombie ebenso unausrottbar bleibt wie die Medien, die ihn nach wie vor als verlässliche Figur ausgraben. Ebenso wenig sollte man beim Ausbruch einer Zombie-Apokalypse darauf bauen, von der Wissenschaft gerettet zu werden (auch das lässt sich in The Walking Dead konsequent nachverfolgen). Doch man sieht diesen ewigen Streuner doch anders, wenn man sich gedanklich auf ihn einlässt und in ihm nicht nur ein altgedientes Schreckgespenst aus der Mottenkiste des Horrors sieht. Dafür ist er einfach zu flexibel in seinen Haltungen und eröffnet zu viele Blickwinkel. Vielleicht ist das dann auch ein würdiges Fazit für eine akademische Veranstaltung, in der ebenso beherzt über Sinn und Unsinn mancher Interpretation zu The Walking Dead gestritten wurde wie unter Nerds. Einer Serie, die mit am besten belegt, wie fest verankert der Zombie in unserer Alltagskultur längst ist. Es sollte also munter weitergebissen werden. Infiziert sind wir doch alle schon.

Alexander Schlicker